Das Beau Rivage-Label hat sich in Zusammenarbeit mit den belgischen Kollegen (K-RAA-K)³ der musikalischen Ergänzung eines Kunstprojekts von Christina Clar und Peter Jap Lim angenommen. Bei „Kidnapping Europe“ geht es um den antiken Europa-Mythos und die damit verbundene Feststellung, dass unser Kontinent den Namen einer Migrantin trägt. Für den Sampler wurden die unterschiedlichsten Künstler zwischen Pop und Avantgarde gebeten, eine musikalische, persönlich-assoziative Erzählung zu diesem Thema zu entwerfen. Das Feld der Möglichkeiten ist entsprechend weit gefasst: Gitarrenpoppige Aufarbeitungen kommen von James Merle Thomas und dem ewig charmanten Zweigespann Künnecke & Smukal. Volker Zander (Calexico) sowie Steve Roden beschreiten dagegen den elektronisch-minimalistischen Weg einer sozusagen zyklischen Geschichtenerzählung. Einen lupenreinen Dancefloor-Hit hat Alexander Polzin abgeliefert, dessen spartanisch-verhaltener Gesang sich ganz subtil in unser Herz schleicht. Ebenso anmutig fällt die Gemeinschaftsproduktion von Christophe Stoll (Nitrada) und Jukka Reverberi (Giardini di Miro) aus: Feingliedrige Plucker-Beats und Gitarrenmelodien werden hier von weichgezeichneten Synthiestreichern überlagert. Christoph Kurzmanns „Sinnphonie Aporique“ erinnert in der rhythmischen Aufarbeitung von „Europa“-Sprachsamples an Kraftwerk und soll hiermit zur heimlichen Hymne der (auch) diesbezüglich ratlosen EU ernannt werden. Eigenwillig freie Figuren über monochromen Flächen entwerfen David Grubbs und David Sheppard (State River Widening) als Duo, sowie ein Trio um Luke Sutherland (Long Fin Killie) und Howard Monk (Billy Mahonie).
Wir sehen und hören: Musik und bildende Kunst können als einheitliches Betriebssystem funktionieren - die sechzehn Exklusivtracks auf „Turning Dreams & Shifting Harbours“ jedenfalls stehen für ein gelungenes Experiment auf diesem Gebiet. Schade, dass es sowas nicht viel häufiger gibt.
SZ
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